Versammlungsteilnehmer dürfen von Polizisten, die ihrerseits Versammlungsteilnehmer filmen oder videografieren, Ton- und Bildaufnahmen. Dazu schreibt das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 24.07.2015, Az. 1 BvR 2501/13:
„Zwar kann es eine „Waffengleichheit“ zwischen den Teilnehmern einer Versammlung und der Polizei nicht geben. Da die Polizei als staatliche Behörde eine ihr gesetzlich übertragene Aufgabe wahrnimmt, verfügt sie über spezifische Mittel und Befugnisse, die Privaten nicht zu Gebote stehen.
Fertigen Versammlungsteilnehmer, die von der Polizei gefilmt oder videografiert werden, ihrerseits Ton- und Bildaufnahmen von den eingesetzten Beamten an, kann aber nicht ohne nähere Begründung von einem zu erwartenden Verstoß gegen § 33 Abs. 1 KunstUrhG und damit von einer konkreten Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut ausgegangen werden. Vielmehr ist hier zunächst zu prüfen, ob eine von § 33 Abs. 1 KunstUrhG sanktionierte Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung der angefertigten Aufnahmen tatsächlich zu erwarten ist oder ob es sich bei der Anfertigung der Aufnahmen lediglich um eine bloße Reaktion auf die polizeilicherseits gefertigten Bild- und Tonaufzeichnungen etwa zur Beweissicherung mit Blick auf etwaige Rechtsstreitigkeiten handelt.“
Der Beschluss ist hier veröffentlicht:
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn L…,
– Bevollmächtigter:
- Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen –
gegen | a) | den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts |
vom 19. Juni 2013 – 11 LA 1/13 -, | ||
b) | das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen | |
vom 21. November 2012 – 1 A 14/11 – |
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Gaier,
Masing
und die Richterin Baer
am 24. Juli 2015 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. Juni 2013 – 11 LA 1/13 – und das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 21. November 2012 – 1 A 14/11 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes.
- Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Entscheidung über die Kosten an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
- Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
- Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, die eine Feststellung seiner Personalien zum Gegenstand haben.
2
1. Im Januar 2011 befand sich der Beschwerdeführer auf einer angemeldeten Versammlung in Göttingen, bei der die Polizei Ton- und Bildaufnahmen der Versammlungsteilnehmer anfertigte. Dort wurde er von Polizeibeamten aufgefordert, sich auszuweisen. Seine Begleiterin erweckte den Eindruck, als filme sie ihrerseits die eingesetzten Polizeibeamten. Der Beschwerdeführer kam der Aufforderung durch Aushändigung seines Personalausweises nach.
3
2. Mit angegriffenem Urteil wies das Verwaltungsgericht die gegen diese Maßnahme gerichtete Fortsetzungsfeststellungsklage ab. Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Nds.SOG könne die Polizei die Identität einer Person feststellen, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr erforderlich sei. Eine Identitätsfeststellung werde zwar im Allgemeinen nicht geeignet sein, unmittelbar eine konkrete Gefahr abzuwehren. Sie könne jedoch Klarheit darüber verschaffen, gegen welche Person gegebenenfalls erforderliche Maßnahmen zu richten seien. Die Polizeibeamten hätten befürchtet, dass ihr Recht am eigenen Bild durch das Verhalten des Beschwerdeführers und seiner Begleiterin verletzt werden könnte. Nach § 22 Satz 1, § 33 Abs. 1 KunstUrhG dürften Bildnisse nur mit der Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Demgegenüber könnten sich Betroffene gegen den bloßen Akt des Fotografierens grundsätzlich nicht mit der Begründung wehren, ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht werde verletzt. Die Polizeibeamten hätten jedoch davon ausgehen dürfen, dass die aus nächster Nähe angefertigten Aufnahmen nicht lediglich dazu dienten, später allein vom Beschwerdeführer und seiner Begleiterin betrachtet zu werden, sondern der Zweck der Anfertigung der Aufnahmen darin liege, diese im Internet zu veröffentlichen. Selbst wenn er nicht selbst gefilmt habe, müsse sich der Beschwerdeführer das Verhalten seiner Begleiterin zurechnen lassen, mit der er gegenüber den Beamten als „Beobachtungsteam“ aufgetreten sei. Die Identitätsfeststellung stelle sich zudem als ein verhältnismäßig geringfügiger Eingriff dar, der mit Blick auf das Gewicht der gefährdeten Rechtsgüter als angemessen erscheine.
3. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung wurde durch das Oberverwaltungsgericht mit ebenfalls angegriffenem Beschluss abgelehnt.
Soweit das Verwaltungsgericht die Frage, ob die Herausgabe des Personalausweises des Beschwerdeführers bereits zu einer abgeschlossenen Identitätsfeststellung geführt habe, offengelassen habe, weil die Maßnahme jedenfalls rechtmäßig gewesen sei, sei dies nicht zu beanstanden. Es handele sich um einen insgesamt nicht gravierenden Eingriff, zumal auch in typischen Situationen des täglichen Lebens die Notwendigkeit auftreten könne, die Identität zu belegen. Nach diesem Maßstab sei die streitige Identitätsfeststellung rechtmäßig. Soweit der Beschwerdeführer zur Begründung seines Zulassungsantrages geltend mache, die Polizeibeamten hätten selbst ohne Anlass nahezu durchgehend die friedliche Versammlung gefilmt und seien mehrfach von Mitgliedern der Gruppe, zu der der Beschwerdeführer gehöre, auf die Rechtswidrigkeit ihrer Filmaufnahmen hingewiesen worden, führe dies nicht zu ernsthaften Zweifeln an der Rechtmäßigkeit. Insbesondere spreche das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht gegen die aus der Sicht der Polizeibeamten bestehende Gefahr einer Verbreitung der von ihnen gefertigten Nahaufnahmen. Selbst wenn die Videoaufzeichnungen der Polizeibeamten rechtswidrig gewesen sein sollten, liege objektiv kein Grund vor, zu Beweissicherungszwecken von ihnen Nahaufnahmen anzufertigen. Die von dem Beschwerdeführer sinngemäß aufgeworfene Frage, ob die Anordnung polizeilicher Maßnahmen gegenüber Personen, die Polizeibeamte im Einsatz fotografieren und bei denen keinerlei Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Kunst- und Urheberrecht vorliegen, rechtmäßig sei, sei jedenfalls nicht entscheidungserheblich. Denn die Polizeibeamten hätten im maßgeblichen Zeitpunkt der von ihnen angeordneten Identitätsfeststellung von einer Gefahr der Begehung von Straftaten nach § 22 Satz 1, § 33 Abs. 1 KunstUrhG ausgehen können.
4. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (Recht auf informationelle Selbstbestimmung) geltend.
5. Dem Niedersächsischen Justizministerium und dem Bundesverwaltungsgericht ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts weist in seiner Stellungnahme darauf hin, dass der für das Polizeirecht zuständige 6. Revisionssenat in einem Fall die Frage zu beantworten gehabt habe, ob und unter welchen Voraussetzungen das Fotografieren von Polizeibeamten im Einsatz eine Gefahr oder Störung der öffentlichen Sicherheit im Sinne der Polizeigesetze der Länder darstellen könne (BVerwG, Urteil vom 28. März 2012 – 6 C 12.11 -, BVerwGE 143, 74 ff.). Der Senat habe dabei angenommen, dass als Schutzgut der öffentlichen Sicherheit neben der Sicherheit des konkreten Polizeieinsatzes und der Funktionsfähigkeit des seinerzeit betroffenen Sondereinsatzkommandos der Polizei vor allem das Recht der eingesetzten Beamten am eigenen Bild betroffen sein könne. Eine polizeiliche Gefahr aufgrund der Anfertigung von Bildaufnahmen drohe allerdings erst dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestünden, dass derjenige, der Lichtbilder herstelle, diese ohne Einwilligung der abgebildeten Person und andere Rechtfertigungsgründe veröffentlichen und sich dadurch gemäß § 33 KunstUrhG strafbar machen werde.
Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
1. Der Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in Gestalt der Feststellung der Personalien des Beschwerdeführers ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
a) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung trägt Gefährdungen und Verletzungen der Persönlichkeit Rechnung, die sich für den Einzelnen aus informationsbezogenen Maßnahmen ergeben (vgl. BVerfGE 65, 1 <42>; 113, 29 <46>; 115, 166 <188>; 115, 320 <341 f.>; 120, 378 <397>). Der grundrechtliche Schutz entfällt dabei nicht schon deshalb, weil der Einzelne gesetzlich verpflichtet ist, Angaben zu seinen Personalien zu machen (vgl. § 111 Abs. 1 OWiG), einen gültigen Ausweis zu besitzen und ihn auf Verlangen einer zur Feststellung der Identität berechtigten Behörde vorlegen muss (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1, 2 PAuswG). Die Befugnis der Behörde, einen Ausweis zu verlangen, wird hierdurch nicht begründet. Es gibt keine allgemeine Verpflichtung, sich ohne Grund auf amtliche Aufforderung auszuweisen oder sonstige Angaben zu Personalien zu machen (vgl. BVerfGE 92, 191 <197>; OLG Hamm, Urteil vom 9. Juni 1954 – (3) 2a Ss 436/54 -, NJW 1954, S. 1212 <1212>).
b) Die Feststellung der Identität einer Person durch Befragen und die Aufforderung, dass sie mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung aushändigt, greift in das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Dieses Recht gewährleistet die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (vgl. BVerfGE 65, 1 <41 f.>; 78, 77 <84>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. März 2001 – 2 BvR 1841/00 u.a. -, NJW 2001, S. 2320 <2321>). Zwar ist das Gewicht des Grundrechtseingriffs verhältnismäßig gering, da die Identitätsfeststellung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Nds.SOG weder heimlich noch anlasslos erfolgt und die Persönlichkeitsrelevanz der im Zusammenhang mit einer Identitätsfeststellung erhobenen Informationen von vornherein begrenzt ist (vgl. BVerfGE 120, 378 <402 f.>). Gleichwohl bedarf der Eingriff der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung im Einzelfall, im Rahmen derer die Gerichte bei der Anwendung und Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Nds.SOG gehalten sind, die Bedeutung und Tragweite des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinreichend zu berücksichtigen.
c) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darf im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden; die Einschränkung darf nicht weiter gehen als es zum Schutz des öffentlichen Interesses unerlässlich ist (BVerfGE 103, 21 <33>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. September 2013 – 2 BvR 939/13 -, juris, Rn. 13). Danach sind die Gesetze ihrerseits unter Berücksichtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auszulegen und anzuwenden, damit dessen Bedeutung für das einfache Recht auch auf der Ebene der Rechtsanwendung zur Geltung kommt. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gebietet dabei insbesondere eine Auslegung des einfachen Rechts, bei der abschreckende Effekte auf den Gebrauch des Grundrechts möglichst gering gehalten werden (vgl. BVerfGE 43, 130 <136>; 93, 266 <292>).
Hiergegen verstieße es, wenn das Anfertigen von Lichtbildern oder Videoaufnahmen eines Polizeieinsatzes unter Verweis auf die bloße Möglichkeit einer nachfolgenden strafbaren Verletzung des Rechts am eigenen Bild (nach § 22 Satz 1, § 33 Abs. 1 KunstUrhG) genügen sollten, um polizeiliche Maßnahmen wie eine Identitätsfeststellung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Nds.SOG durchzuführen. Wer präventivpolizeiliche Maßnahmen bereits dann gewärtigen muss, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass sein Verhalten Anlass zu polizeilichem Einschreiten bietet, wird aus Furcht vor polizeilichen Maßnahmen auch zulässige Aufnahmen (zur grundsätzlichen Zulässigkeit des Filmens und Fotografierens polizeilicher Einsätze vgl. BVerwGE 109, 203 <210 f.>) und mit diesen nicht selten einhergehende Kritik an staatlichem Handeln unterlassen. Beabsichtigt die Polizei, wegen Lichtbildern und Videoaufnahmen präventivpolizeilich – sei es durch ein Film- oder Fotografierverbot (vgl. BVerwGE 143, 74 <77 ff.>), sei es wie hier durch eine Identitätsfeststellung – einzuschreiten, ergibt sich aus den durch die Maßnahme jeweils betroffenen Grundrechten – hier Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG – die Anforderung einer konkreten Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut. Dies ist eine Frage der tatsächlichen Umstände im Einzelfall. Dementsprechend geht die verwaltungsrechtliche Rechtsprechung grundsätzlich in verfassungskonformer Auslegung der §§ 22, 23 KunstUrhG davon aus, dass unzulässige Lichtbilder nicht auch stets verbreitet werden (vgl. BVerwGE 109, 203 <211>). Gehen die Sicherheitsbehörden demgegenüber davon aus, dass im Einzelfall die konkrete Gefahr besteht, eine solche unzulässige Verbreitung sei ebenfalls zu befürchten, bedarf es hierfür hinreichend tragfähiger Anhaltspunkte. Dem genügen die vom Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen mit Blick auf die streitgegenständliche Identitätsfeststellung nicht.
Die angefochtenen Entscheidungen haben vorliegend unterstellt, die eingesetzten Polizeibeamten hätten schon deshalb davon ausgehen dürfen, dass die Aufnahmen im Internet veröffentlicht werden sollten, weil ein anderer Grund für die Beamten nicht ersichtlich gewesen sei. Dabei verkennen sie, dass der Anlass für die Aufnahmen hier ausdrücklich darin lag, dass die Polizei selbst Bild- und Tonaufnahmen der Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung anfertigte (vgl. § 12 NdsVersG). Zwar kann es eine „Waffengleichheit“ zwischen den Teilnehmern einer Versammlung und der Polizei nicht geben. Da die Polizei als staatliche Behörde eine ihr gesetzlich übertragene Aufgabe wahrnimmt, verfügt sie über spezifische Mittel und Befugnisse, die Privaten nicht zu Gebote stehen. Fertigen Versammlungsteilnehmer, die von der Polizei gefilmt oder videografiert werden, ihrerseits Ton- und Bildaufnahmen von den eingesetzten Beamten an, kann aber nicht ohne nähere Begründung von einem zu erwartenden Verstoß gegen § 33 Abs. 1 KunstUrhG und damit von einer konkreten Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut ausgegangen werden. Vielmehr ist hier zunächst zu prüfen, ob eine von § 33 Abs. 1 KunstUrhG sanktionierte Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung der angefertigten Aufnahmen tatsächlich zu erwarten ist oder ob es sich bei der Anfertigung der Aufnahmen lediglich um eine bloße Reaktion auf die polizeilicherseits gefertigten Bild- und Tonaufzeichnungen etwa zur Beweissicherung mit Blick auf etwaige Rechtsstreitigkeiten handelt.
2. Die angefochtenen Entscheidungen beruhen auch auf dem Grundrechtsverstoß. Sie sind daher aufzuheben. Die Sache ist an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung über die Kosten zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).
– Bevollmächtigter:
- Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen –
gegen | a) | den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts |
vom 19. Juni 2013 – 11 LA 1/13 -, | ||
b) | das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen | |
vom 21. November 2012 – 1 A 14/11 – |
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Gaier,
Masing
und die Richterin Baer
am 24. Juli 2015 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. Juni 2013 – 11 LA 1/13 – und das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 21. November 2012 – 1 A 14/11 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes.
- Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Entscheidung über die Kosten an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
- Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
- Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
G r ü n d e :
1. Im Januar 2011 befand sich der Beschwerdeführer auf einer angemeldeten Versammlung in Göttingen, bei der die Polizei Ton- und Bildaufnahmen der Versammlungsteilnehmer anfertigte. Dort wurde er von Polizeibeamten aufgefordert, sich auszuweisen. Seine Begleiterin erweckte den Eindruck, als filme sie ihrerseits die eingesetzten Polizeibeamten. Der Beschwerdeführer kam der Aufforderung durch Aushändigung seines Personalausweises nach.
2. Mit angegriffenem Urteil wies das Verwaltungsgericht die gegen diese Maßnahme gerichtete Fortsetzungsfeststellungsklage ab. Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Nds.SOG könne die Polizei die Identität einer Person feststellen, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr erforderlich sei. Eine Identitätsfeststellung werde zwar im Allgemeinen nicht geeignet sein, unmittelbar eine konkrete Gefahr abzuwehren. Sie könne jedoch Klarheit darüber verschaffen, gegen welche Person gegebenenfalls erforderliche Maßnahmen zu richten seien. Die Polizeibeamten hätten befürchtet, dass ihr Recht am eigenen Bild durch das Verhalten des Beschwerdeführers und seiner Begleiterin verletzt werden könnte. Nach § 22 Satz 1, § 33 Abs. 1 KunstUrhG dürften Bildnisse nur mit der Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Demgegenüber könnten sich Betroffene gegen den bloßen Akt des Fotografierens grundsätzlich nicht mit der Begründung wehren, ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht werde verletzt. Die Polizeibeamten hätten jedoch davon ausgehen dürfen, dass die aus nächster Nähe angefertigten Aufnahmen nicht lediglich dazu dienten, später allein vom Beschwerdeführer und seiner Begleiterin betrachtet zu werden, sondern der Zweck der Anfertigung der Aufnahmen darin liege, diese im Internet zu veröffentlichen. Selbst wenn er nicht selbst gefilmt habe, müsse sich der Beschwerdeführer das Verhalten seiner Begleiterin zurechnen lassen, mit der er gegenüber den Beamten als „Beobachtungsteam“ aufgetreten sei. Die Identitätsfeststellung stelle sich zudem als ein verhältnismäßig geringfügiger Eingriff dar, der mit Blick auf das Gewicht der gefährdeten Rechtsgüter als angemessen erscheine.
3. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung wurde durch das Oberverwaltungsgericht mit ebenfalls angegriffenem Beschluss abgelehnt.
Soweit das Verwaltungsgericht die Frage, ob die Herausgabe des Personalausweises des Beschwerdeführers bereits zu einer abgeschlossenen Identitätsfeststellung geführt habe, offengelassen habe, weil die Maßnahme jedenfalls rechtmäßig gewesen sei, sei dies nicht zu beanstanden. Es handele sich um einen insgesamt nicht gravierenden Eingriff, zumal auch in typischen Situationen des täglichen Lebens die Notwendigkeit auftreten könne, die Identität zu belegen. Nach diesem Maßstab sei die streitige Identitätsfeststellung rechtmäßig. Soweit der Beschwerdeführer zur Begründung seines Zulassungsantrages geltend mache, die Polizeibeamten hätten selbst ohne Anlass nahezu durchgehend die friedliche Versammlung gefilmt und seien mehrfach von Mitgliedern der Gruppe, zu der der Beschwerdeführer gehöre, auf die Rechtswidrigkeit ihrer Filmaufnahmen hingewiesen worden, führe dies nicht zu ernsthaften Zweifeln an der Rechtmäßigkeit. Insbesondere spreche das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht gegen die aus der Sicht der Polizeibeamten bestehende Gefahr einer Verbreitung der von ihnen gefertigten Nahaufnahmen. Selbst wenn die Videoaufzeichnungen der Polizeibeamten rechtswidrig gewesen sein sollten, liege objektiv kein Grund vor, zu Beweissicherungszwecken von ihnen Nahaufnahmen anzufertigen. Die von dem Beschwerdeführer sinngemäß aufgeworfene Frage, ob die Anordnung polizeilicher Maßnahmen gegenüber Personen, die Polizeibeamte im Einsatz fotografieren und bei denen keinerlei Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Kunst- und Urheberrecht vorliegen, rechtmäßig sei, sei jedenfalls nicht entscheidungserheblich. Denn die Polizeibeamten hätten im maßgeblichen Zeitpunkt der von ihnen angeordneten Identitätsfeststellung von einer Gefahr der Begehung von Straftaten nach § 22 Satz 1, § 33 Abs. 1 KunstUrhG ausgehen können.
4. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (Recht auf informationelle Selbstbestimmung) geltend.
5. Dem Niedersächsischen Justizministerium und dem Bundesverwaltungsgericht ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts weist in seiner Stellungnahme darauf hin, dass der für das Polizeirecht zuständige 6. Revisionssenat in einem Fall die Frage zu beantworten gehabt habe, ob und unter welchen Voraussetzungen das Fotografieren von Polizeibeamten im Einsatz eine Gefahr oder Störung der öffentlichen Sicherheit im Sinne der Polizeigesetze der Länder darstellen könne (BVerwG, Urteil vom 28. März 2012 – 6 C 12.11 -, BVerwGE 143, 74 ff.). Der Senat habe dabei angenommen, dass als Schutzgut der öffentlichen Sicherheit neben der Sicherheit des konkreten Polizeieinsatzes und der Funktionsfähigkeit des seinerzeit betroffenen Sondereinsatzkommandos der Polizei vor allem das Recht der eingesetzten Beamten am eigenen Bild betroffen sein könne. Eine polizeiliche Gefahr aufgrund der Anfertigung von Bildaufnahmen drohe allerdings erst dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestünden, dass derjenige, der Lichtbilder herstelle, diese ohne Einwilligung der abgebildeten Person und andere Rechtfertigungsgründe veröffentlichen und sich dadurch gemäß § 33 KunstUrhG strafbar machen werde.
Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
1. Der Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in Gestalt der Feststellung der Personalien des Beschwerdeführers ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
a) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung trägt Gefährdungen und Verletzungen der Persönlichkeit Rechnung, die sich für den Einzelnen aus informationsbezogenen Maßnahmen ergeben (vgl. BVerfGE 65, 1 <42>; 113, 29 <46>; 115, 166 <188>; 115, 320 <341 f.>; 120, 378 <397>). Der grundrechtliche Schutz entfällt dabei nicht schon deshalb, weil der Einzelne gesetzlich verpflichtet ist, Angaben zu seinen Personalien zu machen (vgl. § 111 Abs. 1 OWiG), einen gültigen Ausweis zu besitzen und ihn auf Verlangen einer zur Feststellung der Identität berechtigten Behörde vorlegen muss (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1, 2 PAuswG). Die Befugnis der Behörde, einen Ausweis zu verlangen, wird hierdurch nicht begründet. Es gibt keine allgemeine Verpflichtung, sich ohne Grund auf amtliche Aufforderung auszuweisen oder sonstige Angaben zu Personalien zu machen (vgl. BVerfGE 92, 191 <197>; OLG Hamm, Urteil vom 9. Juni 1954 – (3) 2a Ss 436/54 -, NJW 1954, S. 1212 <1212>).
b) Die Feststellung der Identität einer Person durch Befragen und die Aufforderung, dass sie mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung aushändigt, greift in das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Dieses Recht gewährleistet die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (vgl. BVerfGE 65, 1 <41 f.>; 78, 77 <84>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. März 2001 – 2 BvR 1841/00 u.a. -, NJW 2001, S. 2320 <2321>). Zwar ist das Gewicht des Grundrechtseingriffs verhältnismäßig gering, da die Identitätsfeststellung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Nds.SOG weder heimlich noch anlasslos erfolgt und die Persönlichkeitsrelevanz der im Zusammenhang mit einer Identitätsfeststellung erhobenen Informationen von vornherein begrenzt ist (vgl. BVerfGE 120, 378 <402 f.>). Gleichwohl bedarf der Eingriff der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung im Einzelfall, im Rahmen derer die Gerichte bei der Anwendung und Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Nds.SOG gehalten sind, die Bedeutung und Tragweite des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinreichend zu berücksichtigen.
c) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darf im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden; die Einschränkung darf nicht weiter gehen als es zum Schutz des öffentlichen Interesses unerlässlich ist (BVerfGE 103, 21 <33>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. September 2013 – 2 BvR 939/13 -, juris, Rn. 13). Danach sind die Gesetze ihrerseits unter Berücksichtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auszulegen und anzuwenden, damit dessen Bedeutung für das einfache Recht auch auf der Ebene der Rechtsanwendung zur Geltung kommt. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gebietet dabei insbesondere eine Auslegung des einfachen Rechts, bei der abschreckende Effekte auf den Gebrauch des Grundrechts möglichst gering gehalten werden (vgl. BVerfGE 43, 130 <136>; 93, 266 <292>).
Hiergegen verstieße es, wenn das Anfertigen von Lichtbildern oder Videoaufnahmen eines Polizeieinsatzes unter Verweis auf die bloße Möglichkeit einer nachfolgenden strafbaren Verletzung des Rechts am eigenen Bild (nach § 22 Satz 1, § 33 Abs. 1 KunstUrhG) genügen sollten, um polizeiliche Maßnahmen wie eine Identitätsfeststellung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Nds.SOG durchzuführen. Wer präventivpolizeiliche Maßnahmen bereits dann gewärtigen muss, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass sein Verhalten Anlass zu polizeilichem Einschreiten bietet, wird aus Furcht vor polizeilichen Maßnahmen auch zulässige Aufnahmen (zur grundsätzlichen Zulässigkeit des Filmens und Fotografierens polizeilicher Einsätze vgl. BVerwGE 109, 203 <210 f.>) und mit diesen nicht selten einhergehende Kritik an staatlichem Handeln unterlassen. Beabsichtigt die Polizei, wegen Lichtbildern und Videoaufnahmen präventivpolizeilich – sei es durch ein Film- oder Fotografierverbot (vgl. BVerwGE 143, 74 <77 ff.>), sei es wie hier durch eine Identitätsfeststellung – einzuschreiten, ergibt sich aus den durch die Maßnahme jeweils betroffenen Grundrechten – hier Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG – die Anforderung einer konkreten Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut. Dies ist eine Frage der tatsächlichen Umstände im Einzelfall. Dementsprechend geht die verwaltungsrechtliche Rechtsprechung grundsätzlich in verfassungskonformer Auslegung der §§ 22, 23 KunstUrhG davon aus, dass unzulässige Lichtbilder nicht auch stets verbreitet werden (vgl. BVerwGE 109, 203 <211>). Gehen die Sicherheitsbehörden demgegenüber davon aus, dass im Einzelfall die konkrete Gefahr besteht, eine solche unzulässige Verbreitung sei ebenfalls zu befürchten, bedarf es hierfür hinreichend tragfähiger Anhaltspunkte. Dem genügen die vom Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen mit Blick auf die streitgegenständliche Identitätsfeststellung nicht.
Die angefochtenen Entscheidungen haben vorliegend unterstellt, die eingesetzten Polizeibeamten hätten schon deshalb davon ausgehen dürfen, dass die Aufnahmen im Internet veröffentlicht werden sollten, weil ein anderer Grund für die Beamten nicht ersichtlich gewesen sei. Dabei verkennen sie, dass der Anlass für die Aufnahmen hier ausdrücklich darin lag, dass die Polizei selbst Bild- und Tonaufnahmen der Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung anfertigte (vgl. § 12 NdsVersG). Zwar kann es eine „Waffengleichheit“ zwischen den Teilnehmern einer Versammlung und der Polizei nicht geben. Da die Polizei als staatliche Behörde eine ihr gesetzlich übertragene Aufgabe wahrnimmt, verfügt sie über spezifische Mittel und Befugnisse, die Privaten nicht zu Gebote stehen. Fertigen Versammlungsteilnehmer, die von der Polizei gefilmt oder videografiert werden, ihrerseits Ton- und Bildaufnahmen von den eingesetzten Beamten an, kann aber nicht ohne nähere Begründung von einem zu erwartenden Verstoß gegen § 33 Abs. 1 KunstUrhG und damit von einer konkreten Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut ausgegangen werden. Vielmehr ist hier zunächst zu prüfen, ob eine von § 33 Abs. 1 KunstUrhG sanktionierte Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung der angefertigten Aufnahmen tatsächlich zu erwarten ist oder ob es sich bei der Anfertigung der Aufnahmen lediglich um eine bloße Reaktion auf die polizeilicherseits gefertigten Bild- und Tonaufzeichnungen etwa zur Beweissicherung mit Blick auf etwaige Rechtsstreitigkeiten handelt.
2. Die angefochtenen Entscheidungen beruhen auch auf dem Grundrechtsverstoß. Sie sind daher aufzuheben. Die Sache ist an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung über die Kosten zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.