15.06.2017
Der EuGH hat entschieden, dass das Unionsrecht nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen steht, die in Rechtsstreitigkeiten, an denen Verbraucher beteiligt sind, die verpflichtende Durchführung einer Mediation vor der Erhebung jeder gerichtlichen Klage vorsehen. Da der Zugang zur Gerichtsbarkeit gewährleistet sein muss, kann der Verbraucher die Mediation allerdings jederzeit abbrechen, ohne sich rechtfertigen zu müssen.
Worum geht es?
Herr Livio Menini und Frau Maria Antonia Rampanelli, beide italienische Staatsangehörige, haben das Tribunale Ordinario di Verona (Gericht Verona, Italien) gegen die Bank Banco Popolare angerufen. Diese fordert von ihnen die Rückzahlung von 991.848,21 Euro, die sie ihnen geliehen hat.
Das Gericht Verona weist darauf hin, dass die Klage von Herrn Menini und Frau Rampanelli nach italienischem Recht ohne eine vorherige außergerichtliche Mediation unzulässig sei, auch wenn sie als „Verbraucher“ handelten. Ferner sehe das italienische Recht vor, dass Verbraucher im Rahmen einer solchen verpflichtenden Mediation anwaltlichen Beistand benötigen und die Mediation nicht ohne rechtfertigenden Grund abbrechen dürfen.
Da es an der Vereinbarkeit dieser nationalen Vorschriften mit dem Unionsrecht zweifelt, bittet das Gericht Verona den Gerichtshof um Auslegung der Richtlinie über Verbraucherrechtsstreitigkeiten1.
Urteil des EuGH
Mit seinem Urteil vom14.06.2017 stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie, die es Verbrauchern ermöglichen soll, auf freiwilliger Basis mittels Verfahren zur alternativen Streitbeilegung (AS) Beschwerden gegen Unternehmer einzureichen, auf den vorliegenden Fall anwendbar sein könnte, soweit in dem Mediationsverfahren eine der möglichen Formen von AS gesehen werden kann, was vom nationalen Gericht zu prüfen sein wird. Der Gerichtshof weist insbesondere darauf hin, dass die Richtlinie anwendbar ist, wenn das AS-Verfahren (im vorliegenden Fall das Mediationsverfahren) die drei folgenden kumulativen Voraussetzungen erfüllt:
- 1) Es muss von einem Verbraucher gegen einen Unternehmer wegen vertraglichen Pflichten aus Kauf- oder Dienstleistungsverträgen eingeleitet worden sein,
- 2) es muss unabhängig, unparteiisch, transparent, effektiv, schnell und fair sein, und
- 3) es muss einer Stelle übertragen werden, die auf Dauer eingerichtet und in einer besonderen, der Europäischen Kommission übermittelten Liste aufgeführt ist.
Für den Fall, dass das italienische Gericht zu dem Ergebnis käme, dass die Richtlinie über Verbraucherrechtsstreitigkeiten anwendbar ist2, weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Freiwilligkeit bei den von dieser Richtlinie vorgesehenen AS-Verfahren nicht in der Freiheit der Parteien besteht, dieses Verfahren in Anspruch zu nehmen oder nicht, sondern darin, dass die Parteien selbst für das Verfahren verantwortlich sind und es nach ihrer eigenen Vorstellung organisieren und jederzeit beenden können. Daher kommt es nicht auf den verpflichtenden oder freiwilligen Charakter der Mediationsregelung an, sondern – wie von der Richtlinie ausdrücklich vorgesehen – auf den Umstand, dass das Recht der Parteien auf Zugang zu den Gerichten gewahrt bleibt.
Obligatorische Mediation vor Klageerhebung
Hierzu stellt der Gerichtshof fest3, dass das Erfordernis eines einer gerichtlichen Klage vorgeschalteten Mediationsverfahrens mit dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes unter bestimmten Voraussetzungen – deren Prüfung dem nationalen Gericht obliegt – vereinbar sein kann.
Dies ist insbesondere der Fall, wenn dieses Verfahren
- 1) nicht zu einer die Parteien bindenden Entscheidung führt4,
- 2) keine wesentliche Verzögerung für die Erhebung einer Klage bewirkt,
- 3) die Verjährung der betroffenen Ansprüche hemmt und
- 4) keine erheblichen Kosten mit sich bringt, vorausgesetzt, dass
- 5) die elektronische Kommunikation nicht das einzige Mittel des Zugangs zu diesem Streitbeilegungsverfahren darstellt und dass
- 6) dringende Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes möglich sind. Unter diesen Umständen kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Tatsache, dass mit Rechtsvorschriften wie den italienischen nicht nur ein außergerichtliches Mediationsverfahren geschaffen wurde, sondern darüber hinaus dessen Inanspruchnahme vor Anrufung eines Gerichts verbindlich vorgeschrieben wurde, mit der Richtlinie vereinbar ist.
Der Gerichtshof betont andererseits, dass nationale Rechtsvorschriften nicht verlangen dürfen, dass der an einem AS-Verfahren beteiligte Verbraucher zwingend über anwaltlichen Beistand verfügt.
Abschließend weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Schutz des Rechts auf Zugang zur Gerichtsbarkeit beinhaltet, dass der Abbruch des AS-Verfahrens durch den Verbraucher – mit oder ohne rechtfertigenden Grund – in den nachfolgenden Stadien des Rechtsstreits nie nachteilige Folgen für ihn haben darf. Das nationale Recht darf jedoch Sanktionen im Fall der Nichtteilnahme der Parteien an dem Mediationsverfahren ohne rechtfertigenden Grund vorsehen, sofern der Verbraucher es nach dem ersten Treffen mit dem Mediator abbrechen darf.
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1 Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (ABl. 2013, L 165, S. 63).
2 Der Gerichtshof weist hingegen darauf hin, dass die Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2008, L 136, S. 3) nur für grenzüberschreitende Streitigkeiten gilt, das hier in Rede stehende Verfahren aber keinen grenzüberschreitenden Charakter aufweist, da sowohl Banco Popolare als auch Herr Menini und Frau Rampanelli ihren Sitz bzw. Wohnsitz in Italien haben.
3 Der Gerichtshof folgt hier der gleichen Begründung, die er auch in seiner Rechtsprechung zu Schlichtungsverfahren vertreten hat (Urteil vom 18. März 2010, Alassini u. a., C-317/08 bis C-320/08).
4 Nach der Richtlinie können nationale Rechtsvorschriften vorsehen, dass das Ergebnis von AS-Verfahren für Unternehmer verbindlich ist, sofern der Verbraucher der vorgeschlagenen Lösung zuvor zugestimmt hat.
Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 62/2017 v. 14.06.2017