Mittwoch, 28.02.2018
Polemische Kritik an einer Person, die in der frühen DDR-Zeit hingerichtet und später in der Bundesrepublik rehabilitiert wurde, ist als Meinungsäußerung von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1) grundsätzlich gedeckt. Ob diese Sichtweise sachlich in irgendeiner Weise vertretbar oder von vorneherein unberechtigt ist und ob das in Bezug genommene Urteil grob rechtsstaatswidrig und unangemessen hart war, spielt für den Schutz der Meinungsfreiheit keine Rolle. Mit dieser Begründung hat die 3. Kammer des Ersten Senats mit dem am 20.02.2018 veröffentlichte Beschluss vom 24. Januar 2018, 1 BvR 2465/13, auf die Verfassungsbeschwerde eines Internetseitenbetreibers hin dessen Verurteilung wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener unter Zurückverweisung der Sache aufgehoben, weil die Strafgerichte den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht genügt haben, indem sie den politischen Kontext bei der Deutung der Äußerungen nicht hinreichend berücksichtigt und das entgegenstehende Gewicht des Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen unzutreffend gewichtet haben.
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer ist Inhaber einer Website, auf der er regelmäßig Beiträge veröffentlicht, die sich mit vermeintlichen Missständen bei der Aufarbeitung der DDR beschäftigen. Im Oktober 2005 stellte er einen Beitrag über B. ins Netz, der 1952 vom Obersten Gericht der DDR zum Tode verurteilt und am 2. August 1952 hingerichtet worden war. Anlass des Beitrags war ein Rehabilitationsbeschluss des Landgerichts Berlin im September 2005, der das Urteil aus der DDR-Zeit für rechtsstaatswidrig erklärte und es aufhob. Zu den dem B. in diesem Urteil vorgeworfenen Tathandlungen zählte unter anderem, dass sich B. am illegalen Vertrieb von „Hetzschriften“ beteiligt habe, er als Mitglied der KgU („Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“) Werksspionage betrieben, ein erfolgloses Attentat mit einem Brandsatz verübt und einen Sprengstoffanschlag auf eine Eisenbahnbrücke geplant habe. Der Beschwerdeführer warf der Bundesrepublik in seinem Beitrag „Legalisierung des Terrors gegen die DDR durch Rehabilitierung des KgU-Banditen B.“ vor und bezeichnete B. als Anführer einer terroristischen Vereinigung. Die Strafgerichte verurteilten den Beschwerdeführer wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 30 €. Hiergegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde.
Wesentliche Erwägungen der Kammer
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Äußerungen fallen in den Schutzbereich des Grundrechts. Sie sind durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen und deshalb als Werturteile anzusehen. Der Schutzbereich ist dabei unabhängig davon eröffnet, ob die Äußerungen sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind.
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit findet nach Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, zu denen auch der der vorliegenden Verurteilung zugrunde liegende § 189 StGB gehört. Auslegung und Anwendung der Strafvorschriften sind grundsätzlich Sache der Strafgerichte. Steht ein Äußerungsdelikt in Frage, so verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG dabei jedoch eine Gewichtung der Beeinträchtigung, die der Meinungsfreiheit des sich Äußernden einerseits und dem geschützten Rechtsgut andererseits droht. Wird von dem Grundrecht nicht zum Zwecke privater Auseinandersetzung Gebrauch gemacht, sondern will der Äußernde in erster Linie zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen, dann sind die Auswirkungen seiner Äußerungen auf den Rechtskreis Dritter zwar unvermeidliche Folge, aber nicht eigentliches Ziel der Äußerung. Der Schutz des betroffenen Rechtsguts tritt umso mehr zurück, je weniger es sich um eine unmittelbar gegen dieses Rechtsgut gerichtete Äußerung im privaten Bereich in Verfolgung eigennütziger Ziele, sondern um einen Beitrag zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt.
Geschützt sind bei Verstorbenen der Achtungsanspruch, der dem Betroffenen kraft seines Personseins zusteht wie auch der sittliche, personale und soziale Geltungswert, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat. Das Schutzbedürfnis des Verstorbenen schwindet in dem Maße, in dem die Erinnerung an ihn verblasst, so dass im Laufe der Zeit auch das Interesse an der Nichtverfälschung des Lebensbildes abnimmt. Unabhängig von der Frage, wie weit der Achtungsanspruch Verstorbener im Einzelfall geht, reicht er jedenfalls nicht weiter als der Ehrschutz lebender Personen.
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen die angegriffenen Entscheidungen nicht. Das Landgericht sieht den Schwerpunkt der Äußerung des Beschwerdeführers darin, dem Verhalten des verstorbenen B. einen Makel zu verpassen. Damit misst es dem Kontext der Äußerungen kein hinreichendes Gewicht zu. Das mit der Webseite verfolgte Anliegen des Beschwerdeführers ist eine Kritik an der Bundesrepublik, deren Umgang mit der DDR-Vergangenheit er für einseitig hält. Ausgehend von den Tatvorwürfen, wegen derer der verstorbene B. verurteilt wurde, bewertet der Beschwerdeführer die Handlungen des B. als Straftaten und behauptet, die DDR habe ein legitimes Interesse an der Verfolgung dieser Taten gehabt, weshalb man den Verurteilten nicht nachträglich durch die Rehabilitationsentscheidung als Held ehren dürfe. Diese Äußerung zielt in ihrem Schwerpunkt nicht oder jedenfalls nicht nur darauf, den Verstorbenen als Person verächtlich zu machen, sondern darauf, einen nach Ansicht des Beschwerdeführers aus politischer Voreingenommenheit doppelbödigen Umgang mit der DDR-Vergangenheit und dem gegen sie gerichteten Widerstand anzuprangern. Eine solche Meinungsäußerung ist von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich gedeckt. Ob diese Sichtweise sachlich in irgendeiner Weise vertretbar oder sie von vorneherein unberechtigt ist, spielt für den Schutz der Meinungsfreiheit keine Rolle. Daran ändert auch nichts, dass das vom Beschwerdeführer in Bezug genommene Urteil, wie das Landgericht zu Recht darlegt, grob rechtsstaatswidrig und unangemessen hart war und der Beschwerdeführer die deswegen ausgesprochene Rehabilitierung des verstorbenen B. in Frage stellt. Der Beschwerdeführer ist in Anerkennung seiner Meinungsfreiheit weder verpflichtet, die Richtigkeit dieser Maßnahme anzuerkennen, noch die Handlungen des verstorbenen B. unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, dass in ihnen ein Beitrag zum Widerstand gegen die DDR-Diktatur lag. Der Beschwerdeführer kritisiert die Rehabilitierung des B., weil gegen diesen Vorwürfe wie die Planung von Sprengstoffanschlägen erhoben worden waren. Dass der Beschwerdeführer davon ausgehen musste, dass diese Vorwürfe von vorneherein unwahr oder unberechtigt waren, legt weder das Landgericht dar noch ist dies sonst ersichtlich.
Postmortales allgemeines Persönlichkeitsrecht
Die auf den Umgang mit der DDR-Vergangenheit zielende Kritik ist bei der Beurteilung des Gewichts der Ehrbeeinträchtigung des Verstorbenen in Rechnung zu stellen. Dabei zielt der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf den Schutz eines fortwirkenden Geltungsanspruchs der Person, nicht aber auf eine ausgewogene politische Bewertung historischer Handlungen als solcher. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Herabsetzung nach 60 Jahren Herrn B. im Wesentlichen nur als historische Person betrifft. Wieweit das postmortale allgemeine Persönlichkeitsrecht unter diesen Umständen eine Auseinandersetzung mit den genaueren Motiven und Umständen der Tat, wie hier dem Ziel des Verstorbenen, für eine freie Gesellschaftsordnung zu kämpfen, erforderlich macht, haben die Fachgerichte nicht näher erwogen und in ihrer Abwägung nicht berücksichtigt. Dass der Verstorbene in erheblichem Umfang noch als individualisierte Person in der Öffentlichkeit oder durch ihn persönlich verbundene Angehörige und Freunde präsent ist und daraus noch einen besonders gewichtigen personalisierten Geltungsanspruch ableiten kann, ergibt sich aus den Urteilen nicht.
Quelle: Pressemitteilung Nr. 9/2018 des BVerfG vom 20. Februar 2018