08.09.2016
Wer 57 größtenteils wirre Spam-Mails an die Polizei schickt, dessen Wohnung darf deshalb nicht von der Polizei durchsucht werden. Das hat das OLG Karlsruhe in einem Beschluss vom Beschluss vom 23.8.2016, 11 W 79/16; 11 W 79/16 (Wx), entschieden. Die Betroffene hatte die Polizei im Zeitraum vom 21. Juni 2016 22:33 Uhr bis 22. Juni 2016 10:30 mit einer derartigen Masse von Mails mit größtenteils wirre Angaben bomardiert, teilweise in Bezug auf eine Polizeibeamtin und teilweise in ausfälliger Wortwahl. Es folgte eine auf Polizeirecht gestützte richterliche Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung zum Zweck der Beschlagnahme von Computern und Routern mit dem Ziel, die Versendung von E-Mails an die Polizei zu unterbinden. Dagegen ging die Betroffene vor – und das OLG Karlsruhe gab ihr Recht.
Den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts stufte das OLG als rechtsfehlerhaft ein. Die Durchsuchung bewertete das OLG in Ansehung der Umstände des Einzelfalls im Hinblick auf die in Art. 13 GG garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung als unverhältnismäßig.
Nach § 31 Absatz 2 Nr. 2 PolG könne die Polizei eine Wohnung nur durchsuchen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen würden, dass sich eine Sache in der Wohnung befände, die sichergestellt oder beschlagnahmt werden dürfe. Nach § 33 Absatz 1 Nr. 1 PolG könne die Polizei eine Sache u.a. beschlagnahmen, wenn dies erforderlich zum Schutz eines einzelnen oder des Gemeinwesens gegen eine unmittelbar bevorstehende Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung sei.
Dazu schreibt das OLG in dem Beschluss:
„Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer bereits vollzogenen Durchsuchungsanordnung kommt es auf den Sachverhalt an, der für den zuständigen Amtsrichter im Zeitpunkt seiner Entscheidung – ggf. nach Durchführung der möglichen und im Einzelfall gemäß § 26 FamFG erforderlichen Ermittlungen – erkennbar war (OLG Brandenburg, NVwZ-RR 2015, 32; OLG Düsseldorf, FGPrax 2014, 182; OLG Frankfurt, FGPrax 2007, 42; OLG Hamm, FGPrax 2004, 306). Danach hat der Richter, bevor er die Durchsuchung anordnet, unter Zugrundelegung des vorgetragenen und nach etwaigen weiteren Ermittlungen festgestellten Sachverhalts in eigener Verantwortung zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung dieser Maßnahme vorliegen und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist. Letzteres gilt insbesondere mit Blick auf die nach Art. 13 GG garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung (OLG Düsseldorf, FGPrax 2014, 182).“
a) Zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit gehört der Bestand des Staates und seiner Einrichtungen und deren ungestörte Funktionsfähigkeit (Belz/Mußmann/Kahlert/Sander, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 8. Aufl. § 1 Rn. 13; Ruder, Polizeirecht Baden-Württemberg, 8. Aufl. Rn. 198; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 9. Aufl. Rn. 60; Stephan/Deger, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 7. Aufl. § 1 Rn. 41). Daher kann die Behinderung polizeilicher Tätigkeit die öffentliche Sicherheit tangieren (Belz/Mußmann/Kahlert/Sander, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 8. Aufl. § 1 Rn. 16).“
Zweifelhaft schien dem OLG allerdings, ob hier eine unmittelbar bevorstehende Störung gegeben war. Dazu erläutert das Gericht:
„Eine unmittelbar bevorstehende Störung im polizeirechtlichen Sinn liegt vor, wenn der Eintritt eines Schadens in nächster Zeit und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Stephan/Deger, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 7. Aufl. § 1 Rn. 22). Diese erhöhte Gefahrenstufe ist praktisch gleichbedeutend mit dem Begriff der gegenwärtigen Gefahr (Stephan/Deger, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 7. Aufl. § 1 Rn. 22). Eine Gefahr liegt vor, wenn bei bestimmten Arten von Verhaltensweisen nach allgemeiner Lebenserfahrung oder fachlichen Erkenntnissen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden für polizeiliche Schutzgüter im Einzelfall einzutreten pflegt (Ruder, Polizeirecht für Baden-Württemberg, 8. Aufl. Rn. 176). Bloße Belästigungen, Unbequemlichkeiten und Geschmacklosigkeiten werden von dem polizeilichen Gefahren- bzw. Schadensbegriff nicht erfasst (Ruder, Polizeirecht für Baden-Württemberg, 8. Aufl. Rn. 176). Wann die Gefahrenschwelle überschritten wird, ist stets einzelfallabhängig (Ruder, Polizeirecht für Baden-Württemberg, 8. Aufl. Rn. 176).
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die E-Mails des Betroffenen zu einer technischen Überlastung des Mailsystems der Polizei und auf diese Weise zu einer Beeinträchtigung der Kommunikationsstrukturen der Polizei geführt hätten. Vor diesem Hintergrund kann der E-Mail Versand durch den Betroffenen nicht als Gefahr für die Internetinfrastruktur der Polizei verstanden werden. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Betroffene den elektronischen Kommunikationsweg von oder zu den betroffenen Polizeidienststellen faktisch blockiert hätte.
Die Beeinträchtigung der Polizei ergab sich vielmehr daraus, dass ihren Angaben zu Folge der Dienstbetrieb wesentlich beschwert gewesen sei, da die Gefahr bestanden habe, dass wegen der Vielzahl der Mails des Betroffenen wichtige E-Mails nicht rechtzeitig hätten bearbeitet werden können. Betroffen ist mithin der Arbeitsablauf innerhalb der Polizeidienststellen in der Weise, dass in den Posteingangsfächern der jeweiligen E-Mail-Konten der Polizei die E-Mails des Betroffenen zur Kenntnis genommen wurden und dies personelle Kapazitäten für die Bearbeitung anderer, wichtigerer E-Mails gebunden hat. Dass die E-Mails des Betroffenen für den Dienstbetrieb belästigend gewesen sind, ist offensichtlich. Es ist allerdings zweifelhaft, ob dadurch bereits die Schwelle einer polizeirechtlich relevanten Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit der Polizei überschritten wurde. Insofern ist zu berücksichtigen, dass die E-Mails des Betroffenen größtenteils wirr und unverständlich sind. Es ist daher nicht ersichtlich, dass diese Mitteilungen überhaupt einer Bearbeitung bedurft hätten und wenn, dann jedenfalls keiner sofortigen.
Unverletzlichkeit der Wohnung, Art. 13 GG
Die angeordnete Durchsuchung war in Ansehung der Umstände des Einzelfalls im Hinblick auf die in Art. 13 GG garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung unverhältnismäßig.
Zur Verhältnismäßigkeit im Sinne des Übermaßverbots gehören die drei Grundsätze der Geeignetheit, der Erforderlichkeit (gleichbedeutend mit dem Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs) und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Belz/Mußmann/Kahlert/Sander, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 8. Aufl. § 5 Rn. 1; Stephan/Deger, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 7. Aufl. § 5 Rn. 3).
Geeignet sind nur solche Maßnahmen, die zur Gefahrenabwehr bei verständiger Würdigung als tauglich zu betrachten sind (Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 9. Aufl. Rn. 333). Auch wenn eine komplette Gefahrenabwehr nicht Voraussetzung ist, sondern ein Beitrag der Maßnahme zur Erreichung des Ziels ausreicht (Belz/Mußmann/Kahlert/Sander, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 8. Aufl. § 5 Rn. 3) ist angesichts der weit verbreiteten Möglichkeiten der Versendung von E-Mails insbesondere mit Mobilgeräten zweifelhaft, ob die vom Amtsgericht angeordnete Maßnahme als tauglich anzusehen ist.
Der Beschluss des Amtsgerichts verletzt den Grundsatz des geringsten Eingriffs (vgl. hierzu Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 9. Aufl. Rn. 335 ff.). Gemäß § 5 PolG hat die Polizei die Maßnahme zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt, wenn für die Wahrnehmung einer polizeilichen Aufgabe mehrere Maßnahmen in Betracht kommen.
Zunächst hätte für das Amtsgericht im Hinblick auf die ihm obliegende Amtsermittlungspflicht nach § 26 FamFG eine weitere Sachaufklärung nahegelegen. Ausdrückliches Ziel der Polizei war es, die E-Mail Kommunikation des Betroffenen mit der Polizei zu unterbinden. Insofern wäre von der Polizei zu erläutern gewesen, wieso sie dieses Ziel statt durch einen Grundrechtseingriff auf Seite des Betroffenen nicht durch technische Maßnahmen auf Empfängerseite erreichen kann. So ist es bei dem in der Landesverwaltung eingesetzten Standard E-Mail Programm Microsoft Outlook möglich, einen Absender oder die Domain eines Absenders zu sperren. Auch wenn der Betroffene verschiedene E-Mai-Adressen als Absender verwendet hat, waren diese nicht so zahlreich, als dass diese nicht effektiv hätten gesperrt werden können. Außerdem wäre seitens der Polizei darzulegen gewesen, weshalb sie die vom Betroffenen als Absender verwendeten E-Mail-Adressen nicht bei der zuständigen Stelle auf den Spam-Filter des Mailservers der Polizei eintragen oder anderweitig technisch aussortieren lassen kann.
Auch unter den gegebenen Umständen wäre eine entsprechend abgeänderte interne Arbeitsweise der Polizei das mildere Mittel gewesen. Wie oben dargelegt ist das Schutzgut der Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen vorliegend durch die Bindung personeller Kapazitäten für die Bearbeitung der E-Mails des Betroffenen statt anderer, wichtigerer E-Mails tangiert. Auch hier ist wiederum zu berücksichtigen, dass die E-Mails des Betroffenen größtenteils wirr und unverständlich sind. Es ist daher wie oben dargelegt nicht ersichtlich, dass diese Mitteilungen überhaupt einer Bearbeitung bedurft hätten und wenn, dann jedenfalls keiner sofortigen. Vor diesem Hintergrund wäre es eine Ressourcen schonende und der Priorisierung wichtigerer Aufgaben entsprechende Vorgehensweise der Polizei gewesen, die E-Mails des Betroffenen als Sofortmaßnahme zunächst ungelesen in ein gesondertes Postfach zu verschieben und zu gegebener Zeit nach pflichtgemäßem Ermessen zu bearbeiten oder nicht zu bearbeiten. Dadurch wird auch der Gefahr des Übersehens von E-Mails anderer Adressaten im E-Mail Postfach begegnet. Im Hinblick auf die geringe Bindung von polizeilichen Mitteln für eine derartige Sofortmaßnahme wird eine solche Maßnahme als gleichermaßen geeignet und im Hinblick auf die Grundrechtsposition des Betroffenen aus Art. 13 GG als schonender betrachtet.“
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