23.10.2015
Facebook-Hasskommentare hat die BILD zum Anlass für einen Internetpranger genommen. Zu Recht?
Am 20.10.2015 stellt BILD Facebook-Nutzer an den Pranger und veröffentlicht deren Kommentare mit Fotos . Am 21.10.2015 veröffentlicht BILD einen Text mit der Überschrift: „Nach dem Pranger – BILD stellt die Facebook-Hetzer.“ Reporter der BILD hätten quer durch Deutschland Verfasser der Kommentare zur Rede gestellt. Einige reagieren reumütig, entschuldigen sich und sagen, sie hätten Kommentare gelöscht. Heute berichtet BILD, die Polizei ermittle gegen 74 Facebook-Hetzer aus Berlin.
Werden in sozialen Netzwerken Grenzen überschritten und machen sich User strafbar, muss das strafrechtlich verfolgt werden: Wie gesagt, strafrechtlich. Dafür gibt es Polizei und Staatsanwaltschaft. Es ist nicht angemessen und vielmehr gefährlich, wenn Medien Menschen an einen Internetpranger stellen.
Der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft Martin Steltner erklärt der BILD, BILD-Beitrag vom 20.10.2015: „“Wir sind ein freies Land mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Geschmacklose und lästige Äußerungen, auch wenn sie nicht gefallen, muss man ertragen.“ Er sagt weiter: „Doch es gibt Grenzen, wenn ich diese überschreite, mache ich mich strafbar. Dazu gehören Beleidigungen, Volksverhetzung, das Billigen von oder das öffentliche Auffordern zu Straftaten. Wer die Grenzen überschreitet, wird strafrechtlich von uns konsequent verfolgt.“ „
Strafrechtlich verfolgt also die Staatsanwaltschaft den Betreffenden. Es ist also nicht Aufgabe von Reportern, jemanden zu verfolgen oder gar zu „stellen“. Den Eindruck könnte man aber bei dem Titel des Beitrags vom 21.10.2015 gewinnen: „Nach dem Pranger – BILD stellt die Facebook-Hetzer.“
Es muss strafrechtlich verfolgt werden, wenn die von Herr Steltner genannten Grenzen überschritten werden. Internetpranger und Artikelüberschriften, nach denen Zeitungen Menschen „stellen“, sind aber eine Gefahr für Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechte.
Internetpranger – Gefahren bis zur Lynchjustiz
Wie gefährlich Internetpranger für Betroffene sind, zeigt zum Beispiel der Fall Lena. Ein Schüler wurde auf einer Polizeiwache vernommen. Hintergrund war der Mord an einem Mädchen. Der Berufsschüler war unter dringenden Tatverdacht geraten, gegen ihn wurde ermittelt. Wenige Tage später stellte sich heraus: Der festgenommene Schüler war unschuldig.
Während der Festnahme kam es zu umfangreicher Medienberichterstattung und zu einer Internet-Hetzjagd: Durch eine digitale Hetze im Netz eskalierte die Stimmung derart, dass ein anderer Berufsschüler zur Lynchjustiz gegen ihn auf Facebook aufrief: „Aufstand! Alle zu den Bullen. Da stürmen wir: Lasst uns das Schwein tothauen.“ Er wurde deshalb am 30.05.2012 vom AG Emden zu zwei Wochen Jugendarrest verurteilt, AG Emden – 6b Ls 520 Js 7255/12 (16/12). Der Fall Lena zeigt, zu welchen heftigen Reaktionen Internetpranger führen können.
Medien müssen wissen, wie gefährlich Internetpranger für Betroffene sind. Es ist nicht angemessen und nicht ihre Aufgabe, per Anprangerung in den Medien derart zu „berichten“. Medien haben eine besondere Bedeutung in der Demokratie. Damit geht auch eine besondere Verantwortung einher. So besteht im Rahmen der Verdachtsberichterstattung die Pflicht, angemessen und zurückhaltend zu berichten.
Anwaltskanzlei Wienen, Kanzlei für Medien & Wirtschaft
Rechtsanwältin Wienen, Fachanwältin für Urheber- und Medienrecht
Wirtschaftsmediatorin (IHK)
Kurfürstendamm 125 A
10711 Berlin
Telefon: 030 / 390 398 80
www.medienrechtfachanwalt.de