Der Facebook-Pranger der Bild-Zeitung ist rechtswidrig, urteilt das OLG München. Mit dem Urteil vom 17.03.2016, 29 U 368/16, wurde auf die Berufung der Antragstellerin  das Endurteil des Landgerichts München I vom 10. Dezember 2015 aufgehoben.

Die Entscheidung dazu finden Sie hier im Volltext:

Urteil des OLG München vom 17.03.2016 – Az.: 29 U 368/16

Tenor

In dem Rechtsstreit (…) erlässt das Oberlandesgericht München – 29. Zivilsenat – durch (…) aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2016 folgendes Urteil

I. Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 10. Dezember 2015 aufgehoben.

II.  Der Antragsgegnerin wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes (im Einzelfall bis zu 250.000,00) und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungshaft zu vollziehen an den Geschäftsführern der Antragsgegnerin) verboten, das nachfolgende Lichtbild (…) auf der Website (…) zu veröffentlichen, geschehen wie folgt unter der URL (…) im  Rahmen  des nachstehenden Artikels  der  Antragsgegnerin  auf (…) mit der Überschrift “Hass auf Flüchtlinge – …    stellt die Hetzer an den Pranger” (…)

III.  Die Kosten des Rechtsstreits hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin möchte der Antragsgegnerin mit ihrem Verfügungsantrag verbieten lassen, ihr Bildnis auf der Internetseite der Antragsgegnerin zu veröffentlichen.

Die Antragstellerin nutzt das soziale Netzwerk „Facebook“ und hat dort folgenden Eintrag „gepostet“: (…)

Die Antragsgegnerin bietet unter (…) die Online-Ausgabe der (…)-Zeitung an und hat den Eintrag der Antragstellerin dort wie folgt wiedergegeben: (…)

Die Antragstellerin sieht sich durch die Veröffentlichung der Antragsgegnerin in ihrem Urheber- und Persönlichkeitsrecht verletzt.

Die Antragstellerin hat in erster Instanz beantragt, im Wege der einstweiligen Verfügung – der Dringlichkeit wegen ohne vorherige mündliche Verhandlung, und soweit das Gericht nicht umgehend entscheiden kann, durch den Vorsitzenden – der Verfügungsbeklagten bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes (im Einzelfall bis zu 250.000,00) und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungshaft zu vollziehen an den Geschäftsführern der Verfügungsbeklagten zu insgesamt bis zu zwei Jahren) zu verbieten, das nachfolgende Lichtbild (…) auf der Website (…) zu veröffentlichen, geschehen wie folgt unter der URL (…) im Rahmen des nachstehenden Artikels der Verfügungsbeklagten auf (…) mit der Überschrift “Hass auf Flüchtlinge – …    stellt die Hetzer an den Pranger”.

Die Antragsgegnerin hat in erster Instanz beantragt, den Verfügungsantrag zurückzuweisen.

Das Landgericht hat den Verfügungsantrag mit Endurteil vom 10. Dezember 2015 zurückgewiesen. Auf dieses Urteil wird einschließlich der darin getroffenen tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Antragstellerin, mit der sie die Abänderung des landgerichtlichen Urteils beantragt und ihren Verfügungsantrag weiterverfolgt.

Ergänzend wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll des Termins der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2016 Bezug genommen.

II.
Die zulässige Berufung hat Erfolg.

Der Antragstellerin steht gegenüber der Antragsgegnerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB, 22 KUG, Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG wegen der Verwendung ihres Bildes zu.

Die streitgegenständliche Bildveröffentlichung ist nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG unzulässig.

Die Antragstellerin ist auf dem von der Antragsgegnerin wiedergegebenen Foto erkennbar.

Der in §§ 22, 23 KUG verwendete Begriff des Bildnisses setzt nach gefestigter Rechtsprechung die Erkennbarkeit der abgebildeten Person voraus. Ein Bildnis in diesem Sinne ist die Darstellung einer Person, die deren äußere Erscheinung in einer für Dritte erkennbaren Weise wiedergibt (BGHZ 26, 349 – Herrenreiter; BGH NJW 2000, 2201 – blauer Engel). Hierzu genügt es, wenn der Abgebildete, mag auch sein Gesicht kaum oder gar nicht erkennbar sein, durch Merkmale, die sich aus dem Bild selbst ergeben und die gerade ihm eigen sind, erkennbar ist, oder wenn seine Person durch den beigegebenen Text (so ausdrücklich BGH NJW 1965, 2148 – Spielgefährtin I) erkannt werden kann. Entscheidend für den Bildschutz ist der Zweck des § 22 KUG, nämlich die Persönlichkeit davor zu schützen, gegen ihren Willen in Gestalt der Abbildung der Öffentlichkeit vorgestellt und so für andere verfügbar gemacht zu werden. Der besonderen Gefährdung persönlichkeitsrechtlicher Interessen, die mit der Verbreitung oder öffentlichen Schaustellung von Personenbildern verbunden ist, trägt die Rechtsprechung im Rahmen des § 22 KUG dadurch Rechnung, dass sie zugunsten des Anonymitätsinteresses des Betroffenen sehr geringe Anforderungen an die Erkennbarkeit stellt.

Unstreitig handelt es sich bei der in Rede stehenden Abbildung um ein Bild der Antragstellerin und nicht um das Bild einer anderen Person. Diese Abbildung ist, mag sie von der Antragsgegnerin auch nur im Kleinformat wiedergegeben werden, schon für sich genommen so deutlich, dass die Antragstellerin begründeten Anlass hat, anzunehmen, sie könne erkannt werden. Hinzu kommt, dass mit der Abbildung auch der Namen der Antragstellerin mitgeteilt wird. Angesichts der Verbindung von Bild und Namensangabe steht die Identifizierbarkeit der Antragstellerin auf der Abbildung außer Zweifel.

Die Antragstellerin hat weder ausdrücklich noch konkludent in die Veröffentlichung ihres Bildnisses auf (…) eingewilligt.

Bildnisse einer Person dürfen nach § 22 S. 1 KUG grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden. Sie kann ausdrücklich oder stillschweigend erteilt werden (BGH GRUR 2005, 74, 75 – Charlotte Casiraghi II).

Allein durch das Einstellen einer Fotografie ins Internet räumt ein Berechtigter anderen Internetnutzern weder ausdrücklich noch stillschweigend ein urheberrechtliches Nutzungsrecht an der Fotografie oder einen schuldrechtlichen Anspruch auf Nutzung der Fotografie ein (BGH GRUR 2012, 602 Tz. 15 – Vorschaubilder II).

Eine stillschweigende Einwilligung kann nur angenommen werden, wenn der Betroffene ein Verhalten an den Tag legt, das für den objektiven Erklärungsempfänger als Einwilligung verstanden werden kann. Voraussetzung für die Wirksamkeit einer stillschweigenden Einwilligung ist in der Regel, dass dem Betroffenen Zweck, Art und Umfang der Veröffentlichung bekannt sind (OLG Hamburg AfP 2012, 166; OLG München ZUM 2009, 429; OLG Karlsruhe ZUM 2006, 568; Fricke in: Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 4. Auflage 2014, § 22 KUG Rn. 15).

Aus dem Umstand, dass die Antragstellerin das streitgegenständliche Bildnis auf facebook eingestellt hat, kann nicht auf eine wirksame Einwilligung in eine Wiedergabe dieser Fotografie auf (…) geschlossen werden. Wer ein Foto auf seinen Account bei einem Social Network hochlädt, ohne von möglichen Zugriffssperren Gebrauch zu machen, willigt nicht in die Weiterverbreitung des Fotos durch Dritte außerhalb des Kreises der zugriffsberechtigten Mitglieder des Netzwerks im Rahmen eines gänzlich anderen Kontextes ein (wie hier auch Fricke a.a.O, Rn. 17 unter Hinweis auf Wanckel, Foto- und Bildrecht, 4. Aufl. 2012, Rn. 138).

Der streitgegenständliche Eintrag der Antragstellerin auf Facebook durfte von der Antragsgegnerin schon deshalb nicht als Einwilligung zur Veröffentlichung auf „www. .de“ verstanden werden, weil der Antragstellerin Zweck, Art und Umfang der Veröffentlichung nicht bekannt waren.

Die Zulässigkeit der Bildnisveröffentlichung durch die Antragsgegnerin ergibt sich entgegen dem Urteil des Landgerichts auch nicht aus § 23 KUG.

Nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG dürfen Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung verbreitet und zur Schau gestellt werden, sofern berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht verletzt werden. Dabei erfordert schon die Beurteilung, ob ein Bildnis dem Bereich der Zeitgeschichte nach § 23 Absatz 1 Nr. 1 KUG zuzuordnen ist, eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK andererseits (vgl. BVerfG NJW 2008, 1793). Maßgebend ist hierbei das Interesse der Öffentlichkeit an vollständiger Information über das Zeitgeschehen, wobei dieser Begriff zu Gunsten der Pressefreiheit in einem weiten Sinn zu verstehen ist. Er umfasst nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse.

Allerdings besteht ein solches Informationsinteresse nicht schrankenlos. Vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Der Informationsgehalt einer Bildberichterstattung ist dabei im Gesamtkontext, in den das Personenbildnis gestellt ist, und unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung zu ermitteln.

In welchem Umfang der Einzelne berechtigter Weise davon ausgehen darf, den Blicken der Öffentlichkeit nicht ausgesetzt zu sein und in seinem Verhalten nicht Gegenstand einer Medienberichterstattung zu werden, lässt sich nur unter Berücksichtigung der konkreten Situation und damit unter Einbezug des eigenen Verhaltens des Betroffenen beurteilen (BVerfG GRUR 2006, 1051). Der Schutz der Privatsphäre vor öffentlicher Kenntnisnahme kann etwa dort entfallen oder zumindest im Rahmen der Abwägung zurücktreten, wo sich der Betroffene selbst damit einverstanden gezeigt hat, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden (BVerfG a.a.O.). Niemand ist an einer solchen Öffnung privater Bereiche gehindert. Er kann sich sodann jedoch nicht unbeschränkt auf einen öffentlichkeits-abgewandten Privatsphärenschutz berufen. Vielmehr muss die Erwartung, dass die Umwelt die Angelegenheit oder die Verhaltensweisen im Bereich mit Rückzugsfunktion nur begrenzt oder nicht zur Kenntnis nimmt, situationsübergreifend und konsistent zum Ausdruck gebracht werden.

Auf diesen situationsbezogenen Umfang der berechtigten Privatheitserwartungen des Betroffenen stellt auch die Rechtsprechung des EGMR ab (GRUR 2004, 1051 – Caroline von Hannover). Sie misst dem von Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Schutz der Privatsphäre etwa dort besonderes Gewicht bei, wo der Betroffene zwar noch mit einer Kenntnisnahme eines Beobachters, aber auf Grund der weiteren Umstände nicht mit der Verbreitung von Aufzeichnungen durch Massenmedien rechnen muss (vgl. EGMR Entsch. v. 28. 1. 2003 – 44647/98 Rn. 62 f. – Peck gegen Großbritannien).

Ausgehend hiervon muss die Antragstellerin die Wiedergabe der streitgegenständlichen Abbildung im Internet-Pranger der Antragsgegnerin nicht hinnehmen.

Gegenstand der Berichterstattung der Antragsgegnerin ist die Flüchtlingskrise und damit ein Vorgang von historisch-politischer Bedeutung. Es steht folglich außer Frage, dass es Aufgabe der Antragsgegnerin ist, die in Politik und Gesellschaft geführte Flüchtlingsdebatte in ihrer Berichterstattung aufzugreifen, abzubilden und auch zu bewerten. Dazu zählt selbstverständlich auch die kritische Würdigung der Haltung bestimmter Bevölkerungskreise, die dem Zuzug von Flüchtlingen ablehnend gegenüberstehen. Nicht zu beanstanden ist auch, dass die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Berichterstattung – etwa zur Darstellung der Stimmungslage in der Bevölkerung – Äußerungen wie die der Antragstellerin wiedergibt, mit denen sich einzelne Personen in der Flüchtlingsdebatte außerhalb ihres privaten Umfeldes zu Wort gemeldet haben. Die Antragstellerin räumt selbst ein, dass zumindest einige hundert Personen ihren Interneteintrag bei Facebook gelesen haben, so dass die fragliche Äußerung nicht mehr als rein privat bewertet werden kann.

Die Antragstellerin hat sich mit ihrer Äußerung bewusst in die Öffentlichkeit gewagt und darf sich daher nicht wundern, wenn die Antragsgegnerin diese Äußerung in ihrer Berichterstattung aufgreift, um den Informationsanspruch des Publikums zu erfüllen und damit auch einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten.

Es besteht allerdings kein berechtigtes Interesse der Antragsgegnerin, die Antragstellerin im Rahmen der Wiedergabe ihrer Äußerung durch die Abbildung eines mit ihrem Namen versehenen Fotos kenntlich zu machen. Denn es ist nicht erkennbar, welche Bedeutung es für eine sachbezogene Erörterung der in der Flüchtlingsdebatte in einem Interneteintrag geäußerten Meinung einer beliebigen Person aus Sicht des angesprochenen Publikums haben könnte, zu wissen, wie diese Person heißt und aussieht. Zur Darstellung des Meinungsbildes und dessen Bewertung durch die Antragsgegnerin bedarf es lediglich der Mitteilung der Äußerung selbst. Das Bildnis einer Person wird nicht schon dadurch zu einem solchen der Zeitgeschichte, dass sich die fragliche Person in einem Interneteintrag zum Zeitgeschehen geäußert hat. Anders etwa als das Bildnis einer Person, die ihre Meinung im Rahmen eines Demonstrationszuges auf einem mitgeführten Plakat äußert, weist das Bildnis der Antragstellerin mit Blick auf den Gegenstand der Berichterstattung keinen weiterführenden Informationsgehalt auf, der seine Wiedergabe rechtfertigen könnte. Ein Informationsanspruch des Publikums besteht daher insoweit nicht.

Das Verhalten der Antragstellerin kann nicht als freiwillige Mitveranlassung einer auf ihre Privatsphäre bezogenen Medienberichterstattung durch besonders exponiertes Verhalten eingestuft werden. Die Antragstellerin musste zwar damit rechnen, ihre für die Flüchtlingsdebatte typische Meinungsäußerung auch in einem Massenmedium, wie es die Antragsgegnerin bietet, kritisch bewertet zu finden.

Die mit ihrem Facebook-Eintrag erfolgte partielle Selbstöffnung der Privatsphäre der Antragstellerin ist allerdings nicht mit der von der Antragsgegnerin vorgenommenen und als „Pranger“ bezeichneten Wiedergabe der mit Foto und Namen versehenen Äußerung in einem Massenmedium gleichzusetzen: Die Breitenwirkung, welche die Antragsgegnerin mit ihrer Bildnisveröffentlichung erzielt hat, geht weit über das hinaus, was der Antragstellerin mit ihrem Facebook-Eintrag möglich war.

Der von der Antragstellerin tatsächlich angesprochene Personenkreis beschränkt sich auf diejenigen Personen, denen die Antragstellerin entweder bereits namentlich bekannt war oder die ihre Äußerung im Rahmen des auf Facebook geführten Meinungsaustauschs zur Kenntnis genommen haben. Die Antragstellerin hat mit ihrem Eintrag aber nicht alle potentiellen Internetnutzer oder auch nur das Publikum der Antragsgegnerin angesprochen. Der Eintrag der Antragstellerin und ihr Foto waren, wie die Demonstration im Termin vor dem Landgericht zeigt, eben nur bei gezielter Eingabe des Namens der Antragstellerin und damit eben gerade nicht für jeden Internetnutzer ohne weiteres auffindbar.

III.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Für die Zulassung der Revision ist im Streitfall, dem ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zugrunde liegt, kein Raum (vgl. § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO).